Steffen Brodowski
Resilienz in der Pflege: Ein Interview mit Steffen Brodowski
Im Interview mit Steffen Brodowski, Koordinator für pflegerische Fachweiterbildungen, erfahren wir, wie Resilienzseminare die Pflegekräfte der UMMD unterstützen, mit den Herausforderungen ihres Berufsalltags umzugehen. Seit Jahren setzt sich Brodowski intensiv für die Förderung der Resilienz in der Pflege ein und bietet praxisnahe Seminare, die den Teilnehmern helfen, ihre Stärken zu erkennen und ihre Widerstandsfähigkeit zu steigern. Im Interview spricht er über seine persönlichen Erfahrungen, die Bedeutung der Resilienz während der Pandemie und wie wichtig es ist, das Teamgefühl zu stärken – nicht nur für die Pflegekräfte, sondern auch für die Patienten.
Foto: Steffen Brodowski, Koordinator für die pflegerischen Fachweiterbildungen Intensiv- und Anästhesiepflege und Intermediate Care Pflege (DKG). Fotografin: Sarah Kossmann/UMMD
Bitte stellen Sie sich und Ihre Position einmal kurz vor.
Mein Name ist Steffen Brodowski. Ich bin Gesundheits- und Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiepflege, Praxisanleiter und derzeit Student der Pflegepädagogik. An der UMMD bin ich bereits seit über 30 Jahren tätig. Begonnen habe ich mit dem Zivildienst, gefolgt von der Grundausbildung und verschiedenen Fachweiterbildungen. Bevor ich 2020 als Koordinator für die pflegerischen Fachweiterbildungen in der Intensiv- und Anästhesiepflege sowie der Intermediate Care Pflege gewechselt bin, arbeitete ich 20 Jahre auf der Station Kar3I. Meine Hauptaufgabe ist die pädagogische und didaktische Steuerung der Fachweiterbildung. Aufgrund ständig neuer Anforderungen in der Intensivpflege und Anästhesie sind kontinuierliche Weiterentwicklungen notwendig. Um unseren Teilnehmenden stets die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse vermitteln zu können, bin ich auch ehrenamtlich aktiv. In der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e. V. (DGF) bin ich im Vorstand, Sprecher der Landesbeauftragten und AG-Sprecher, Landesbeauftragter in Sachsen-Anhalt, Sprecher der AG Bildung, Redakteur der Thieme-Intensiv, Mitglied im Kongresskomitee DFK/DOP, Mitglied im Landespflegerat Sachsen-Anhalt und Ratsmitglied im Deutschen Pflegerat (DPR). Außerdem bin ich in der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in der Sektion Perspektive Resilienz aktiv.
Sie führen bereits seit einigen Jahren Resilienzseminare in der UMMD durch. Erklären Sie bitte einmal, worum es dabei genau geht.
Schon vor Beginn der Seminare machen die Teilnehmenden einen Typentest, der hilft, die eigenen Erlebens- und Verhaltensmuster zu erkennen. So verstehen sie, warum ihr Verhalten oft von dem ihrer Kollegen abweicht. Kurz erklärt, gibt es vier verschiedene Typen: ergebnisorientiert, faktenorientiert, beziehungsorientiert und serviceorientiert. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Pflegefachpersonen überwiegend beziehungs- und serviceorientiert sind, während ärztliches Personal eher ergebnis- und faktenorientiert ist. Unabhängig vom Typ sind wir alle hier, um das Beste für unsere Patienten zu erreichen. Wenn ich weiß, wie mein Gegenüber fühlt und denkt, kann ich meine Kommunikation so gestalten, dass er sich wertgeschätzt fühlt. Das ist der wichtigste Punkt, der laut der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ für die Befragten entscheidend ist, um im Beruf zu bleiben oder zurückzukehren. In den Seminaren lernen die Teilnehmenden zudem die sieben Faktoren zur individuellen Resilienz kennen. Dabei erfahren sie, wo ihre Stärken liegen und woran sie noch arbeiten können. Diese Faktoren betreffen die Lösungsorientierung, Optimismus, das Verlassen der Opferrolle (besonders entscheidend in der Pflege), Verantwortung übernehmen, Akzeptanz, Netzwerkorientierung und Zielorientierung.
Wie sind Sie persönlich auf das Thema Resilienz in der Pflege aufmerksam geworden? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Während der Corona-Pandemie habe ich festgestellt, dass viele Kollegen an ihre Belastungsgrenze stießen. Der Teamgedanke drohte verloren zu gehen, insbesondere aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen auf die Corona-Maßnahmen, die nicht von allen vollständig nachvollziehbar waren. In dieser Zeit nahm ich an einem Online-Kongress teil und besuchte ein Seminar zum Thema Resilienz. Die Psychologin Anka Hansen machte deutlich, wie wichtig es ist, jedes Teammitglied zu verstehen. Durch den Typentest und typengerechte Kommunikation sowie das Wissen über die Säulen der Resilienz war es möglich, sich selbst und andere viel besser zu verstehen. Daraufhin nahm ich Kontakt zu Frau Hansen auf, und wir organisierten das erste Resilienzseminar im Rahmen der Fachweiterbildung. Die Resonanz war so positiv, dass wir beschlossen, diese Seminare in allen Kursen gleich zu Beginn anzubieten. Finanzierbar wurde dies durch die Unterstützung der Bahn BKK. Da die Teilnehmenden in der Evaluation angaben, dass sie die Erkenntnisse des Kurses gerne schon früher gehabt hätten, wollte ich die Seminare auch in der Grundausbildung etablieren. Gerade die hohe Abbrecherquote nach dem ersten Praxiseinsatz zeigt die Notwendigkeit, gegenzusteuern. Da es uns gelang, auch die AOK Sachsen-Anhalt vom Nutzen dieser Seminare zu überzeugen, können wir die Resilienzseminare seit 2023 auch allen Auszubildenden anbieten. Eine Bedingung dafür war die Evaluation der Kurse, die ich im nächsten Monat, auch durch Interviews, beginnen werde. Daher auch hier der Aufruf an alle Seminarteilnehmenden, sich gerne bei mir zu melden.
Pflegekräfte sind häufig starkem Stress ausgesetzt. Welche sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen im Pflegealltag, die Resilienz erfordern?
Die größten Herausforderungen treten für Pflegefachpersonen auf, wenn die Arbeitsbedingungen es nicht ermöglichen, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Auch die beste Resilienz hilft nicht, wenn es darum geht, die doppelte Anzahl von Patienten zu versorgen. Ein weiteres wichtiges Thema ist das „Second Victim Phänomen“, bei dem auch die Person, der ein folgenreicher Fehler passiert ist, unter langfristigen Folgen leiden kann. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht die Frage, was es kostet, alle Mitarbeiter zu schulen, sondern was es kostet, wenn man es nicht tut. Eine neue Studie von Prof. Strametz, mit dem ich in der DIVI-Sektion zusammenarbeite, hat errechnet, dass es rund 6.600 Euro pro Arbeitnehmer kostet, wenn keine entsprechende Vorsorge getroffen wird. Daher sind wir mit unseren Schulungen auf einem sehr guten Weg und dienen als Best-Practice-Beispiel im Resilienzseminar der DIVI-Akademie.
Können sich Pflegekräfte mit Schulungsbedarf zum Thema an Sie wenden? Wie?
Interessierte können sich natürlich gerne an mich wenden. Wir führen die Seminare im Rahmen der Fachweiterbildung durch. Alle anderen können sich über den Fortbildungskatalog der UMMD anmelden. Wer ein dreitägiges Seminar möchte, das auch dazu befähigt, als Multiplikator im eigenen Team tätig zu werden, kann sich an der DIVI-Akademie anmelden. Dieses Seminar wird erstmals vom 03. bis 05. April 2025 angeboten.
Was möchten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Pflege mit auf den Weg geben?
Auch Helfer brauchen mal Hilfe. Sich diese Hilfe einzufordern, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Professionalität! Der überwältigende Einsatz aller Mitarbeitenden nach dem schrecklichen Anschlag auf unserem Weihnachtsmarkt hat gezeigt, welch starken Teamgeist die UMMD auszeichnet. Macht euch eure individuellen Stärken und die eurer Mitarbeitenden bewusst. Werdet auch berufspolitisch aktiv, um die Bedingungen für uns alle zu verbessern. Nutzt bei Bedarf die zahlreichen Unterstützungsangebote der PSAH, kümmert euch um euch selbst und euer Team. Nur funktionierende, wertschätzende Teams gewinnen auch neue Mitarbeitende. Denn Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit!
Vielen Dank für das Interview!