In den Ruhestand verabschiedet
Zum Start des Wintersemesters 2025/26 verabschiedet die Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg drei langjährige Hochschullehrer in den wohlverdienten Ruhestand. Prof. Dr. Hermann-Josef Rothkötter (Anatomie), Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner (Kinder- und Jugendpsychiatrie) und Prof. Dr. Klaus-Dieter Fischer (Biochemie) haben die Fakultät in ihren Bereichen und darüber hinaus mit ihrem Wirken nachhaltig mitgeprägt.
Wir konnten mit Prof. Rothkötter (zum Interview) und Prof. Flechtner (zum Interview) sprechen. Sie haben uns verraten, wie sie sich auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereiten.
„Wissenschaft endet an keiner Altersgrenze“ - Prof. Hermann-Josef Rothkötter im Gespräch
Nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze des Instituts für Anatomie blickt Prof. Hermann-Josef Rothkötter auf prägende Veränderungen in der Lehre, seine Jahre als Dekan an der Medizinischen Fakultät Magdeburg und den anstehenden Generationenwechsel. Im Interview spricht er über die Zukunft der medizinischen Ausbildung, die Bedeutung von Kontinuität und warum Forschen für ihn auch im Ruhestand unverzichtbar bleibt.
Welche Veränderungen haben Sie in der Ausbildung der Medizinstudierenden in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt?
Studierende haben heute einen viel leichteren Zugang zum Grundlagenwissen und zwar in allen Fächern. Eine kurze Internetrecherche während der Lehrveranstaltung ist mittlerweile fast selbstverständlich. Manche vertrauen den Informationen aus Datenbanken sogar mehr als den Hinweisen der Lehrenden. Dabei vergessen sie manchmal, dass wir im Unterricht gezielt die essenziellen Grundlagen vermitteln. Deren Wert erschließt sich ihnen oft erst später.
Unersetzbar bleibt der persönliche Kontakt zwischen Studierenden und Dozierenden. Früher waren das vor allem die klassischen Vorlesungen, die nach wie vor ihre Berechtigung haben. Aber die technischen Möglichkeiten darin sind längst nicht ausgeschöpft. Durch die Pandemie haben wir viel mit Video-Übertragungen gearbeitet - etwa anatomische Strukturen per Kamera demonstriert. Das setze ich inzwischen auch in Präsenzvorlesungen ein: Jeder sieht die Details, egal ob in der letzten Reihe oder am heimischen Schreibtisch.
Auch das Arbeiten hat sich verändert: Das digitale Tablet ist heute der Schreibblock der Gegenwart. Oft bin ich der Einzige im Raum, der noch Papier und Stift nutzt. Entscheidend ist für mich aber etwas Anderes: Lehre gelingt am besten, wenn sich Studierende und Lehrende als Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe begegnen. Ich habe über die Jahre unglaublich viel von den Studierenden gelernt. Hierarchiefreie Kommunikation ist der Umgang der Zukunft, ohne dass die Lehrautorität darunter leidet.
Foto: Prof. Dr. Hermann-Josef Rothkötter. Foto: privat
Wenn Sie auf Ihre zwölf Jahre als Dekan zurückblicken: Welche Entwicklungen an der Fakultät liegen Ihnen besonders am Herzen?
In den Kliniken hat der ökonomische Druck in den letzten Jahren stark zugenommen. Für das Dekanat war es deshalb umso wichtiger, eine gemeinsame Linie bei Berufungen, in der Lehre und im wissenschaftlichen Profil zu entwickeln. Von 2008 bis 2020 haben wir als Vorstand daran intensiv gearbeitet.
Wichtige Schritte waren die räumliche Einrichtung des Skills-Lab, die Planungen für den neuen Hörsaal und die Förderung unserer Forschungsschwerpunkte. Sehr stolz bin ich auch auf die Entwicklung einer eigenen Corporate Identity, ein Alleinstellungsmerkmal, um das uns andere Fakultäten beneiden.
Ein zentrales Anliegen war immer die Ausstattung von Forschung und Lehre. 2013 haben wir das mit einer Demonstration öffentlich sichtbar gemacht. Mit Erfolg: Unsere Forderungen gegenüber der Landesregierung wurden im Anschluss konstruktiv weiterentwickelt.
Mit Prof. Anne Albrecht übernimmt jemand aus dem eigenen Institut die Leitung. Wie wichtig ist Ihnen diese Kontinuität?
Das Schlimmste für ein Institut ist eine lange Vakanz in der Leitung. Gerade in der Anatomie mit ihren hohen Lehrverpflichtungen hat das gravierende Folgen, nicht nur für die Forschung, sondern vor allem für die Ausbildung der Studierenden im ersten Jahr.
Deshalb habe ich frühzeitig mit Frau Prof. Albrecht vereinbart, dass der Übergang zum 1. Oktober 2025 erfolgen soll. Ich bin dankbar, dass sie dazu bereit war und die Fakultät das unterstützt hat. So gibt es jetzt einen nahtlosen Übergang in Leitung und Lehre. Das ist ein großer Gewinn.
Sie wollen auch nach Ihrer Emeritierung weiter forschen. Wieso ist Ihnen das wichtig?
Weil es in der Wissenschaft immer mehr offene Fragen gibt als gelöste Probleme. Ein Beispiel: Die Aufnahme von Antigenen durch die Darmwand ist bis heute nur teilweise verstanden. Unsere Arbeitsgruppe hat dazu gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Berlin in den letzten sechs Jahren umfangreiches Material gesammelt, das wir weiter auswerten wollen.
Somit gilt für mich: Wissenschaft endet an keiner Altersgrenze. Ich bin sehr dankbar, dass ich an der Fakultät weiterhin Unterstützung dafür finde.
Welche Freiräume eröffnet Ihnen nun der Ruhestand, die im aktiven Dienst vielleicht zu kurz kamen?
Ich habe viele Interessen: wissenschaftlich, technisch und journalistisch als verantwortlicher Redakteur des Ärzteblattes Sachsen-Anhalt. Schon seit dem Ende meiner Dekanszeit 2020 waren die Tage gut gefüllt. Aber jetzt freue ich mich auf mehr Zeit für Familie und Freunde und darauf, auch mal spontan unter der Woche ein Konzert oder eine Ausstellung besuchen zu können.
Wenn Sie in ein paar Jahren zurückschauen: Woran würden Sie merken, dass Sie den Ruhestand für sich gut gestaltet haben?
Die Gabe der Prophetie habe ich glücklicherweise nicht. Und es ist gut, dass man nicht in die Zukunft schauen kann. Für mich zählt vielmehr: Am Ende jedes Tages sollte man sagen können, dass das Leben gut war. Das war immer meine Haltung und so darf es gerne bleiben.
Zur Person
Prof. Dr. med. Hermann-Josef Rothkötter, Jahrgang 1959, wurde 2003 zum C4-Professor für Anatomie an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg berufen und leitete seither das Institut für Anatomie. Geboren in Rheine (Westf.), studierte er an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), wo er 1994 die Lehrbefugnis für Anatomie erhielt. 2008 bis 2020 war er Dekan der Medizinischen Fakultät. Seit 2021 ist er Chefredakteur des Ärzteblattes Sachsen-Anhalt. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse gilt dem Darmimmunsystem, insbesondere den Anpassungen der Immunfunktion nach der Geburt sowie der Entwicklung von Immunantworten durch Bakterien und andere Antigene.
„Kinder brauchen mehr als Medizin – sie brauchen ein stabiles Umfeld“ -Ein Interview mit Prof. Hans-Henning Flechtner zu seinem Abschied in den Ruhestand
Nach Jahrzehnten an der Spitze der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Fakultät Magdeburg verabschiedet sich Prof. Dr. med. Hans-Henning Flechtner in den Ruhestand. Im Interview zieht er Bilanz über die wachsenden Herausforderungen für Familien, die Entwicklung seines Fachs und die wichtigsten Lektionen für die nächste Generation von Ärztinnen und Ärzten.
In Ihrer Zeit an der Klinik haben Sie unzählige Kinder und Jugendliche begleitet. Gibt es eine Erfahrung, die Sie besonders geprägt hat?
Immer wieder zu sehen, wie eine gesunde Entwicklung von Kindern unmittelbar von den nächsten Angehörigen und den gemeinsamen Lebensbedingungen abhängt – und wie fatal desolate Verhältnisse sich häufig auswirken.
Wie hat sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie in den vergangenen 20 Jahren verändert – medizinisch, aber auch gesellschaftlich?
Es wirkt so, als ob krisenhafte Zuspitzungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hätten, Anspruchshaltungen gewachsen seien und viele Eltern ihrer elterlichen Verantwortung nicht mehr adäquat nachkommen könnten oder wollten.
Foto: Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner. Fotografin: Melitta Schubert/UMMD
Der Wechsel in den Ruhestand ist für viele Ärztinnen und Ärzte ein Bruch mit jahrzehntelanger Routine. Wie gehen Sie persönlich mit diesem Übergang um?
Gelassen und unaufgeregt, indem ich einige Dinge weiter betreibe und ansonsten zu anderen Routinen übergehe.
Wenn Sie an Ihre Studierenden denken: Was möchten Sie der nächsten Generation an Ärztinnen und Ärzten mitgeben?
Neben dem vielen Wissen und den Fertigkeiten, die für den ärztlichen Beruf erforderlich sind, steht für mich die Grundfähigkeit des „Selber Denkens“ an zentraler Stelle.
Auf welche Dinge im Alltag freuen Sie sich besonders, wenn der Terminkalender nicht mehr so voll ist?
Wieder deutlich mehr Zeit für inhaltliche Beschäftigung und Lesen zu haben.
Wollen Sie sich fachlich weiterhin engagieren und wenn ja, welches Thema liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich werde vermutlich meine Tätigkeit im Landespsychiatrieausschuss weiter ausüben und mich insgesamt wieder stärker mit den philosophischen Wurzeln der psychiatrischen Fächer beschäftigen.
Zur Person
Prof. Dr. med. Hans-Henning Flechtner, Jahrgang 1956, ist seit 2006 Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. 2009 übernahm er den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Prof. Flechtner studierte Philosophie und Medizin in Gießen, Heidelberg und Glasgow, promovierte 1985 in Heidelberg und habilitierte sich 2004 in Köln. Er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und forscht zu Psychopathologie, Lebensqualität von Kindern und Familien sowie psychoonkologischen Fragestellungen.