Medikamente mit Strahlkraft
In der Radiopharmazie der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin Magdeburg werden radioaktive Arzneimittel individuell hergestellt. Diese sogenannten Radiopharmaka ermöglichen fortschrittliche Diagnostik- und Therapiemethoden unter anderem im Kampf gegen Krebs. Radiopharmazeutin Dr. rer. nat. Elisabeth Eppard erklärt im Interview, wie genau radioaktive Arzneimittel funktionieren und was bei der Herstellung alles zu beachten ist.
Was genau sind Radiopharmazeutika und wo werden sie eingesetzt?
Radiopharmazeutika sind Arzneimittel, welche ein oder mehrere radioaktive Nuklide, sogenannte Radionuklide, enthalten. Das sind Atome mit einem instabilen Kern, die bei ihrem Zerfall Strahlung aussenden. Mit ihnen können Stoffwechselvorgänge „sichtbar“ gemacht werden und eignen sich für die Diagnostik aber auch Therapie einer großen Bandbreite an Erkrankungen.
Für diagnostische Zwecke setzen wir Gamma-, oder Positronen-Strahler ein. Deren ausgesandte Strahlung kann den menschlichen Körper nahezu wechselwirkungsfrei verlassen und außerhalb detektiert werden. Rechnerisch kann dann der Ort an dem das Radionuklid seine Strahlung ausgesandt hat bestimmt werden. So entsteht das Bild der Verteilung des radioaktiven Arzneimittels im Körper. Anhand der Verteilung eines bestimmten Radiopharmakons im Körper können dann Erkrankungen erkannt werden. Beispiel Onkologie: Tumore und Metastasen können von gesundem Gewebe unterschieden werden.
Für therapeutische Zwecke werden Alpha- oder Beta-Strahler eingesetzt. Deren Strahlung ist energiereich,
kann aber nur sehr kurze Distanzen im Körper zurücklegen. Ist ein derartiges Radiopharmazeutikum an seinem Zielort angekommen, z.B. einer Tumorzelle, deponiert es bei seinem Zerfall in einem sehr kleinen Radius sehr viel Energie. Das kann zu irreversiblen Schäden an den dortigen Zellen (Tumorzellen) und deren Absterben führen.
Woraus bestehen Radiopharmazeutika?
Ganz allgemein bestehen Radiopharmazeutika aus einem radioaktiven und einem nicht-radioaktiven Part. Der nicht-radioaktive Part enthält die pharmakologisch aktive Funktion (Vektor) und bei Bedarf weitere pharmakologisch inaktive Strukturen. Dieser nicht-radioaktive Part definiert die biologischen Eigenschaften des Radiopharmakons (biologische Halbwertszeit, Wirkort, Spezifität etc.).
Der radioaktive Teil enthält ein oder mehrere radioaktive Nuklide. Jedes Radionuklid hat charakteristische Zerfallseigenschaften. Dazu gehören die Art der Strahlung (Alpha-, Beta+, Beta-, oder Gamma-Strahlung), die Energie der ausgesendeten Strahlung und die Halbwertszeit mit der der Zerfall stattfindet. Diese Eigenschaften des Radionuklids definieren die Einsatzmöglichkeiten eines Radiopharmakons (Diagnostik oder Therapie) und die notwendige Messtechnik (PET, SPECT).
Die biologischen Eigenschaften müssen zu den physikalischen Eigenschaften des Radionuklids passen, damit das Radiopharmakon seine Aufgabe optimal erfüllen kann. Auch besteht nicht jedes Radiopharmakon automatisch aus dem radioaktiven und einem nicht-radioaktiven Teil. Je nach zugrunde liegenden Stoffwechselprozess können einzelne Radionuklide bereits die pharmakologisch aktive Funktion mitübernehmen (z.B. Iod-131). Andere Radiopharmaka bestehen neben der pharmakologisch aktiven Funktion und einem Radionuklid noch aus weiteren pharmakologisch inaktiven Strukturen (z. B. Liganden und/oder Linker wie in [68Ga]Ga-PSMA-11). Diese binden das Radionuklid und separieren radioaktiven und nicht-radioaktiven Part soweit, dass beide in ihrer Funktionalität nicht eingeschränkt werden. Zusätzlich können die biologischen Eigenschaften des Radiopharmakons, wie z.B. biologische Halbwertszeit, durch Änderungen der Linker-Struktur optimiert werden.
Wie genau funktionieren Radiopharmazeutika?
Die Radiopharmaka nehmen am Stoffwechsel teil ohne diesen zu verändern oder zu stören. Dadurch können krankhafte Veränderungen beobachtet werden. Je nach Stoffwechselprozess wird das Radiopharmakon passiv oder aktiv an zu seinem Ziel im Körper gebracht.
Passive Anreicherung findet nur über eine Deregulierung des Stoffwechselprozesses statt. z.B. [18F]FDG, radioaktiv markierte(r) Zucker/Glucose, nimmt am Stoffwechsel teil wie die nicht-radioaktive Glucose. Sie wird ebenfalls in die Zellen transportiert und dort verstoffwechselt. Dort bleibt sie aber bis zum Zerfall des Radionuklids „stecken“. Das Stoffwechselprodukt kann erstmal nicht weiter in der Zelle verstoffwechselt werden, es kann aber auch die Zelle nicht mehr verlassen. Dadurch akkumuliert sie in Zellen mit erhöhtem Energiebedarf, dazu gehören auch Zellen einiger Tumorarten. Das Problem dabei: der Energiebedarf von gesundem Gewebe ist auch stark unterschiedlich und nicht jede erhöhte Anreicherung ist automatisch eine ernstzunehmende Erkrankung.
Aktive Anreicherung wird durch Optimierung des pharmakologisch aktiven Teils des Radiopharmakons erreicht. Das funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, wobei das Radiopharmakon den Schlüssel enthält und sich das passende Schloss (z.B. Rezeptoren) im Organismus sucht. Dafür müssen für eine bestimmte Erkrankung hoch-spezifische „Schlösser“ identifiziert, und für diese spezielle „Schlüssel“ entwickelt werden. Beispiel: Prostata-Karzinom. Ein Eiweiß, das prostata-spezifische Membran-Antigen (PSMA), findet sich auf den Krebszellen und dessen Metastasen deutlich häufiger als auf gesunden Prostatazellen. Und im restlichen Körper kommt es eigentlich kaum vor. Durch Verwendung eines Schlüssels für dieses Schloss, kann das Radiopharmakon zielgerichtet im Tumorgewebe angereichert werden. Je nach Radionuklid kann dann eine sehr genaue Diagnostik erfolgen, oder aber, das Tumorgewebe sehr selektiv zerstört werden.
Kann dabei auch gesundes Gewebe zerstört werden?
Der radioaktive Zerfall ist ein statistischer, kontinuierlich stattfindender Prozess. D.h. auf dem Weg zum Zielort zerfallen bereits Radionuklide und deponieren ihre Energie auch in gesundem Gewebe. Allerdings, sind die eingesetzten Mengen (Massen) des Radiopharmakons sehr sehr klein im Verhältnis zur Zahl der Zellen in unserem Körper. Auch bei therapeutischen Aktivitätsmengen reden wir von einer Größenordnung von mehr als 6 Nullen nach dem Komma (weniger als Mikrogramm-Bereich) während der Mensch Billionen Zellen, also 14 Nullen vor dem Komma, im Körper besitzt. Von diesen Billionen Zellen sterben pro Sekunde sowieso ~ 50 Millionen Zellen und werden erneuert. Die Zahl der Zellen die ein therapeutisches Radiopharmakon auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel zusätzlich kaputt machen kann, ist dementsprechend verschwindend gering. Bei den diagnostischen Radiopharmaka ist der Anteil nochmal deutlich geringer. Als Folge davon fallen die Nebenwirkungen einer Radionuklidtherapie im Vergleich z. B. zu einer Chemotherapie wesentlich geringer aus.
Die Herausforderung ist dennoch, den Anteil an strahlen-exponiertem gesunden Gewebe und dadurch resultierende Schäden möglichst gering zu halten. Durch Kombination einer präzisen Diagnostik kann die Anreicherung der Radiotherapeutika patientenindividuell abgeschätzt werden. Eine darauf basierende Therapieplanung garantiert einen optimalen Therapieverlauf mit minimalen Strahlenrisiken. Diese nuklearmedizinische Vorgehensweise nennt man Theranostik.
Sie stellen die Radiopharmazeutika in speziellen Laboren in der Nuklearmedizin der UMMD selbst her. Wie genau müssen wir uns das vorstellen?
Kurze Halbwertszeiten erfordern kurze Wege. Besonders Diagnostika müssen Vorort hergestellt, also radioaktiv markiert werden. D.h. wenn ein Patient zu uns in die Nuklearmedizin kommt, markieren wir den entsprechenden Arzneistoff-Vorläufer mit dem passenden Radionuklid und überprüfen die Qualität nach Arzneibuchmaßstäben bevor er vom Arzt angewendet wird. Aber nicht alles wird bei uns erst hergestellt, einiges kaufen wir auch ein. Aber auch da kann es kurzfristig zu Veränderungen kommen, wenn Lieferungen verspätet sind oder kurzfristig storniert werden.
Da wir mit radioaktivem Material umgehen, sind für die Herstellung der Radiopharmaka spezielle Räumlichkeiten und Geräte notwendig. Zum einen, weil es sich um Arzneimittel handelt, deren Herstellung stark reglementiert ist. Zum anderen, weil es radioaktive Stoffe sind, mit denen umgegangen wird. Und diese unterliegen der Strahlenschutzgesetzgebung, zum Schutz der Öffentlichkeit, aber auch zum Schutz von Personal und Patienten. Deshalb ist generell überall viel Blei zur Abschirmung verbaut.
Die Ausstattung in Ihren Laboren klingt ein wenig nach Science-Fiction bzw. nach Raumfahrt. Wozu benötigen Sie zum Beispiel ein Gammaspektrometer?
Um die Qualität der Radiopharmaka bestimmen zu können, braucht es viel teure Spezialtechnik. Dabei werden diverse Parameter überprüft, z. B. handelt es sich überhaupt um das richtige Radiopharmakon, entspricht es den Reinheitskriterien, enthält es zu viel Alkohol, etc.
Insgesamt werden bis zu 20 Parameter überprüft, bevor ein Radiopharmakon für die Verwendung freigegeben werden kann. Das Gamma-Spektrometer gehört zu dieser teuren Technik, die hinter sehr viel Blei (986 kg) ihre Arbeit tut. Damit wird getestet, ob das richtige Radionuklid eingesetzt wurde und ob das Radionuklid ggf. mit anderen Radionukliden „verunreinigt“ ist.
Ist der Herstellungsprozess gefährlich für das Personal? Von wieviel Strahlung sprechen wir? Welche Schutzmaßnahmen sind zu ergreifen?
Kommt ganz darauf an. Grundsätzlich muss man wissen, dass es zur Messung radioaktiver Strahlung eine Hand voll Einheiten gibt, die unterschiedliche Fragen beantworten. Die Aktivität einer radioaktiven Substanz wird zum Beispiel in der Einheit Bq (Becquerel) angegeben. Wir sprechen von wenigen Megabecquerel (MBq) bei Diagnostika bis zu einigen Gigabecquerel (GBq) für Therapeutika bei den Patientendosen. Für die Herstellung liegen wir in der Regel im Gigabecquerel-Bereich. Dazu kommt: die Radiopharmazie (aber natürlich auch die Nuklearmedizin) handhabt arbeitstäglich die Radiopharmaka. Das Personal ist also viel mehr auch höheren Aktivitäten ausgesetzt als ein Patient. Diese biologische Strahlenbelastung wird in Sievert angegeben und darf im Jahr mehr als 20 Millisievert (mSv) nicht überschreiten. Das entspricht etwa dem 10-fachen der natürlichen Strahlenbelastung in Deutschland usw.
Wenn man sich an die allgemeinen Regeln für Strahlenschutz hält, ist das aber unbedenklich. Und um ganz sicher zu gehen wird das von den Behörden auch überwacht in Form von amtlichen Dosimetern, die jeder Mitarbeiter während der Arbeitszeit tragen muss und die monatlich ausgewertet werden.
- Zeitreduktion (Aufenthaltszeit mit der Strahlenquelle so kurz wie möglich halten)
- Abstand zur Strahlenquelle (Pinzetten etc. benutzen statt alles einfach in die Hand zu nehmen)
- Abschirmung (Bleiburgen, Bleitöpfe, Plexiglas, Spritzenabschirmungen etc.)
- Notwendigkeit (nur Aktivität handhaben, wenn es nicht anders geht, z. B. Herstellung)
- Aktivitätsreduktion (so wenig Aktivität wie sinnvoll und möglich einsetzen)
Wie lange hält denn die Strahlkraft der Medikamente an und muss das bei der Produktion berücksichtigt werden? Beschreiben Sie bitte ein konkretes Beispiel!
Das ist sehr komplex und von vielen Faktoren wie beispielsweise von der physikalischen Halbwertszeit des Radionuklids abhängig. Je kürzer die Halbwertszeit des Radionuklids, desto reibungsloser muss die Herstellung, Qualitätskontrolle aber auch das Patientenmanagement ablaufen. Viel Zeit für Wiederholungen bleibt da nicht. Zum Beispiel Gallium-68 hat eine Halbwertszeit von einer Stunde. Von Start der Synthese (radioaktiv) bis Ende der Qualitätskontrolle und Freigabe brauchen wir ziemlich genau 1 Stunde. D.h. zum Zeitpunkt der Untersuchung am PET kann ich maximal die Hälfte von meiner ursprünglichen Startaktivität abgeben. Selbst wenn alles perfekt und verlustfrei funktioniert.
Bei jeder Herstellung stellen sich also die Fragen: wie viele Patienten haben wir? Wie viel bekommt jeder Patient? Was ist der Abstand zwischen den einzelnen Applikationen der Patientendosen? Wie lange dauert meine Herstellung inklusive Qualitätskontrolle? Wann ist die erste Applikation geplant? Wie ist die Halbwertszeit meines Radionuklids? Bei Generatoren, wie lange es dauert bis wieder genug Aktivität für eine neue Herstellung vorhanden ist. Dementsprechend muss die Startzeit der Herstellung, die Aktivitätsmenge, aber auch die Anzahl und der Abstand zwischen Herstellungen geplant werden.
Wie genau gelangen die Medikamente in den Körper des Patienten?
Das hängt davon ab, welcher Prozess untersucht werden soll. Die meisten Radiopharmaka werden direkt in die Vene verabreicht. Allerdings haben wir auch Radiopharmaka, welche unter die Haut appliziert werden, Kapseln zum Schlucken oder sogar Mahlzeiten (Haferbrei, Joghurt, Orangensaft) mit radioaktivem Arzneistoff im Portfolio.
Vor welchen Herausforderungen steht die Radiopharmazie aktuell?
Unsere Größte Herausforderung dürfte es aktuell sein, den, in den letzten Jahren stark gestiegenen, regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Die Umsetzung ist zeitaufwendig, kostenintensiv und nicht ganz so einfach, weil sie zwei Gesetzgebungen beachten muss (Strahlenschutz und Arzneimittelrecht) die nicht immer problemfrei mit einander vereinbart werden können.
Dazu kommt es immer häufiger zu Lieferengpässen bei den Radionukliden oder den kommerziell erhältlichen Radiopharmaka. Die zur Verfügung stehenden wenigen Produktionsanlagen sind sehr alt und damit anfällig für technische Probleme. Die sehr komplexen Lieferketten, aufgrund der radioaktiven Natur der Produkte, haben aber nur extrem wenig Spielraum für Probleme egal welcher Art.
Sowohl Lieferengpässe als auch die notwendigen Anpassungen an seigende regulatorische Vorgaben werden die Radiopharmazie und damit auch die Nuklearmedizin weiter beschäftigen.
Abbildung: Peltek, O.O et al. (2019) J Nanobiotechnol 17, 90
Foto 1: Dr. rer. nat. Elisabeth Eppard im Heißlabor bei der Herstellung von Radiopharmaka.
Foto 2: Radiopharmazeutin Dr. rer. nat. Elisabeth Eppard in der Qualitätssicherung.
Fotograf: Andres Peinelt/UMMD